Takagi Masakatsu: Eating 2
Produkt des Monats August 2003
Wohlfühl-Electronica geriet in letzter Zeit mehr und mehr ins Kreuzfeuer der Kritik. Immer weniger der heiße Cutting Edge-Scheiß, sondern zu viel Niedlichkeits-Durchschnitt nach dem Schema F behaupten die Nörgler. Und ganz so falsch liegen sie dabei nicht: Berge an gut gelaunten Platten mit naiven Piano-Geplinker, gerne getränkt in Lagerfeuer-Romantik von der Akustikklampfe und garniert von der scheinbar obligatorischen Extradosis Zuckerguß sorgen für Diabetes im Plattenregal. Auf den ersten Blick paßt auch Masakatsu-san aus Japan exzellent in diese Schublade. Zwar fehlt die Gitarre, aber ansonsten liefert der 23-jährige Jungspund genau die Naschereien, die wir zwar manchmal über haben, aber trotzdem nicht genug davon kriegen können. Melodien für Millionen über sanft-fluffigen Ringelbeats zum Anfassen, Bläser für den Sonnenuntergang und, nicht zu vergessen, diese unwiderstehlichen Trademark-Pizzicatos.
Die erste „Eating“ Platte aus dem letzten Sommer schien zunächst leicht unspektakulär und eklektisch. Hier klangs nach Wunder und da schallte es nach Múm, aber irgendwie rotierte sie dann doch immer und immer wieder, lullte uns sanft in den Schaf hinein und am morgen entspannt heraus. Dieser Tage wird nachgelegt, schließlich ist wieder Sommer. Der Sequel nennt sich schlicht „Eating 2“ und (Phrasenalarm!) fängt da an, wo der Vorgänger aufhörte. Wieder sind es Kleinode, die aber weniger fragmentarisch wirken, sondern homogener, selbstbewußter und vor allem runder arrangiert sind, was der Musik nicht immer nur gut getan hat, war doch eine gewisse schüchterne Fragilität nicht unerheblich für den Reiz des Ganzen. Neu hinzugekommen ist eine ordentliche Dosis Karibik-Flavour mit Steeldrums und Alleinunterhalter-Flair samt fröhlichen Hooklines, die trotz dezenter Melancholie den Beweis antreten, das sich Easy Listening und Electronica doch näher stehen, als manch einer wahrhaben möchte.
Musizieren ist für Masakatsu wie das Verfassen eines sonischen Tagebuchs, verarbeitend und befreiend vom technischen Krampf der Bildschnibbeleien und dem Stress der Kunstszene, denn meistens verdient er seine Brötchen als Videoartist, siehe z.B. seine DVDs für Carpark (New York) oder Daisyworld (Tokyo), die Ton- und Bildspur gleichberechtigt nebeneinander. Für jedes Label diversifiziert er seinen Ansatz, ohne jedoch seine Persönlichkeit gleich zwanghaft in 10 verschiedene AKAs zu splitten. Manche Elemente ziehen sich jedoch quer durch mehrere Releases wie z.B. ab und an auftauchendes Kindergejohle, was sofort eine Unschuldsstimmung par Excellence hervorruft. Das klappt bei Boards of Canada ja auch immer.
Die Platten für Karaoke Kalk, wo vom obengenannten Durchschnitt übrigens nie die Rede sein kann, prozessieren seine musikalischen Wurzeln: Takagi erzählt mir, wie er im Alter von 12 bis 18 Jahren ziemlich viel Piano-Unterricht genießen durfte, dessen Erfahrungen seinerzeit in unzähligen selbstkomponierten Miniaturen münzten. Die „Eating“-Serie, in Zukunft auch als Bandumsetzung geplant, besteht quasi rein als aus Remakes dieser Jugendreminiszenzen, die er Schritt für Schritt in ein neues Gewand kleidet. Angeblich schlummern über 150 Eating-Stücke im Archiv daheim in Kyoto. Genug Stoff für weitere 10 Sommerplatten also.
„Eating“ und „Eating 2“ sind bei Karaoke Kalk erschienen.
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