Grundlagen digitaler Medientechnik

R. Großmann / P. Siegert / M. Warnke

Seminarplan

zur Aufgabe Multimedia

 

Multimedia

 

Begriff/Geschichte

Mit der Möglichkeit für einen weiten Anwenderkreis bis in den Konsumerbereich hinein, in einer rechnergesteuerten Umgebung die Medientypen Text, Bild, Ton und Bewegtbild verknüpfen zu können, begann der Aufstieg des Begriffs Multimedia. Zunächst als marketinggerechtes Etikett für die schöne neue bunte und klingende digitale Informations- und Unterhaltungswelt verwendet (seit ca. 1989), verdrängt Multimedia den wissenschaftlich fundierteren, aber engeren Begriff Hypermedia, der sich in der Folge von Hypertext auf durch Links verknüpfte multimediale Dokumente (nichtlineare Struktur) bezieht.

Zwei Visionäre:

Vannevar Bush konzipiert bereits 1945 Memex als assoziativ zugängliche 'multimediale' Nutzerbibliothek. Auf Microfilm gespeichertes Material ("books of all sorts, pictures, current periodicals, newspapers") wird auf eine Schreibtischoberfläche projiziert.

Ted Nelson versucht seit Ende der 1960er Jahre sein XANADU zu realisieren, ebenfalls ein Datenbanksystem, nun allerdings als vernetztes Client-Server Konzept mit "hypermedia information servern". Aus diesem Netzsystem ergibt sich ein multimediales öffentlich zugängliches Wissensnetz, das Docuverse. (XANADU ab 1989 als kommerzielles Programmpaket)

>erste verbreitete Hypertext/Hypermedia Datenbank: Apple "HyperCard" (verlinkte Karteikarten) wurde ab 1987 mit Macintosh Geräten mitgeliefert.

Technische Entwicklung

In technischer Hinsicht unterscheiden sich Multimedia-Anwendungen von herkömmlichen Anwendungen durch ihr großes Datenaufkommen und Synchronisierungsanforderungen. Eine interaktive Nutzung von miteinander verknüpften Text/Bild/Ton-Daten ist etwa nur dann sinnvoll, wenn sich die Verzögerungszeit (Latenz) bei der Wiedergabe und programmgesteuerten Verarbeitung der Daten innerhalb enger Toleranzen bewegt. Besondere Anforderungen ergeben sich für zeitabhängige Medien wie Ton und Bewegtbild, die ohne eine kontinuierliche Übertragungsrate und Synchronisation mit komplementären Medien nicht eingebunden werden können.

Ab Mitte der 80er Jahre wurden aus diesen Gründen hybride Multimedia-Systeme eingesetzt, die statt einer heute angestrebten digitalen Integration eine Steuerung herkömmlicher Medien (etwa VCR, Bildplattenspieler) vorsahen.

>Vorläufer im militärischen Bereich (Advanced Research Projects Agency):
Aspen Movie Map, erstes interaktives Bewegtbild-Informationssystem

PC-Bereich: Das Media Control Interface (MCI) ab MS-Windows 3.x stellt dem Anwendungsprogrammierer in speziellen Application Programmer Interfaces (API) standardisierte Steuerungs-Schnittstellen für CD, VCR und Bildplattenspieler zur Verfügung. Es folgten ActiveX bzw. ab Win95 DirectX als Software Interfaces zur Steuerung der Wiedergabe von Multimedia-Dateien.

Begriffsbestimmung - Weite und enge Definition

Die digitale Speicherung, Bearbeitung und Übertragung medialer Inhalte steht eröffnet ein weites Potenzial an Vernetzung, neuen Präsentationsformen und Interaktionsmöglichkeiten. "Multimedia" wird dabei in einer ersten Annäherung als informelles Etikett für die Ausgestaltung dieses Potenzials der digitalen Medien verstanden. Der Begriff "Multimedia" stammt zunächst aus dem Marktumfeld des Wandels der Unterhaltungselektronik. Er diente und dient dort als Leitbegriff für die Zusammenführung von Computertechnik und traditionellen elektronischer Medien und bringt entsprechende Erwartungen und Utopien mit sich.

In der gesellschaftlichen Praxis haben sich auf dieser Basis zwei Begriffsvarianten durchgesetzt. Einerseits wird Multimedia als weit gefaßter informeller Begriff verwendet, der sich auf alle Anwendungen digitaler Medien bezieht, die mehr als ein Medium (Text, Bild, Ton) umfassen. Andererseits definiert ein wissenschaftlich eng gefaßter Multimediabegriff interaktive und nonlineare Anwendungen, die zeitunabhängige (Text, Bild) und zeitabhängige (Ton, Bewegtbild) Medien verknüpfen.

Aktuelle engere Definitionen von Multimedia enthalten z.B. folgende Bedingungen:
- Einbezug zeitabhängiger Medien
- Möglichkeiten programmabhängiger Kombination und Verabeitung verschiedener Medientypen

"Ein Multimediasystem ist durch die rechnergesteuerte, integrierte Erzeugung, Manipulation, Darstellung, Speicherung und Kommunikation von unabhängigen Informationen gekennzeichnet, die in mindestens einem kontinuierlichen (zeitabhängigen) und einem diskreten (zeitunabhängigen) Medium kodiert sind." (Steinmetz 1999, S. 13)

 

Technik

Datenübertragung

asynchron (so schnell wie möglich, aber: keine garantierte Rate)
Internetprotokoll; Ethernet

synchron (maximale Ende-zu-Ende-Verzögerung der Datenpakete)
etwa bei FDDI (Fiber Distributed Data Interface) optional. Zwischenspeicherung notwendig,
da Daten zu früh eintreffen können

isochron (maximale und minimale Ende-zu-Ende-Verzögerung der Datenpakete)

 

Synchronisation (Beispiele)

Wordclock - Synchronisation der Übertragung zeitkritischer digitaler Mediendaten. Eine 'gemeinsame Uhr' sorgt für die zeitliche Synchronizität der einzelnen 'Datenworte'

SMPTE - Timecodestandard der Society of Motion Picture and Television Engineers. Basis sind die Einzelbilder eines Films/Videos (Frames). Die jeweils zweistelligen Zahlen sind so angeordnet:
aa:bb:cc:dd: (:ee)
und geben die folgenden Werte an:
aa (Stunden):bb (Minuten):cc (Sekunden):dd (Einzelbilder, Frames):optional noch ee (Subframes)

MTC - MIDI Timecode. Der MTC ist die MIDI Version des SMPTE. Er erlaubt sowohl einzelbildgenaue Vertonung durch Verkopplung von Bildmaschinen mit Sequenzern etc. wie auch die Zeitsynchronisation sonst unabhängiger MIDI-Systeme.

 

 

Randbemerkung: Wohl mehr als Marketing-Aktion wurden für Wintel-PCs Multimedia Geräte-Spezifikation verkündet. Danach ist ein Multimedia-PC ein gerade aktueller PC der gehobenen Mittelklasse.


Minimalforderungen der bisher drei Multimedia-PC Spezifikationen (MPC)

1991 MPC 1:
Prozessor: 386SX
Festplatte: 30 MB
Arbeitsspeicher: 2 MB
Soundkarte: 8-Bit, 11,025 oder 22,05 kHz, MIDI-Klangerzeuger, Schnittstelle zum
CD-ROM-Player (150 Kbyte/sec Datenübertragungsrate)

1993 MPC 2:
Prozessor: 486SX (25 MHz)
Festplatte: 160 MB
Arbeitsspeicher: 4 MB (empfohlen 8 MB)
CD-ROM Laufwerk: Datenübertragungsrate 300 Kbyte/sec
Soundkarte: 16 Bit, Mixer für 4 Tonquellen, MIDI-Klangerzeuger
Grafikkarte: VGA(640x480), 65536 Farben, Verarbeitung von 1,2 Megapixel pro Sekunde

1996 MPC 3:
Prozessor: Pentium
Festplatte: 540 MB
Arbeitsspeicher: 8 MB
Soundkarte: wie 1993, als Klangerzeuger Wavetable-Synthese, FM-Kompatibilität empfohlen

 

Anwendungen/Autorensysteme

Paradigmen:

Schwerpunkt Interaktion: Spiel, Medienkunst

Schwerpunkt Information: multimedial aufbereitete Datenbanken, einfache Lehr- und Lernsysteme, Präsentations'folien'

Autorensysteme:

Folienmodell (PowerPoint)

Karteikartenmodell (Hypercard, Toolbook [1998]); hypertextorientiert

Filmmodell (Macromedia Director); zeitabhängig; Bühnenmetapher ("Computer as Theatre")

 

Literatur

Technik
Steinmetz, Ralf: Multimedia-Technologie. Grundlagen, Komponenten und Systeme. Berlin 1999.
Forst, Hans-Josef (Hg.): Multimedia: neue Anwendungen in derTelekommunikation. Berlin 1993.

Traditionen/Visionen
Bush, Vannevar: As We May Think. In: The Atlantic Monthly, July 1945.
auch unter http://www.isg.sfu.ca/~duchier/misc/vbush/
Nelson, Theodor H.: As We Will Think. In: Online 72. Conference Proceedings.Uxbridge 1973, S. 439-454.
Nelson, Theodor H.: Literary Machines. South Bend 1987.
Brand, Stewart: The Media Lab: Inventing the Future at MIT. New York 1988.
Negroponte, Nicolas: Total digital. München 1995.
Kuhlen, Rainer: Hypertext. Berlin 1991.

Science/Fiktion
Rheingold, Howard: Virtuelle Welten. Reinbek 1992.
Huxley, Aldous: Schöne neue Welt. München 1992.

 

 

   
Veranstaltungen  |  Kulturinformatik  |  Fachbereich III  |  Universität Lüneburg

Universität Lüneburg - Kulturinformatik - 16.1.2003 - Rolf Großmann