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((audio)) - Ästhetische Strategien
Ästhetische Strategien
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Von Menschen und Maschinen

Produkt des Monats Februar 2012

von Thomas Bednorz

Link: Collaborating with machines (Tom Jenkinson)

 

Wer erinnert sich nicht noch an die guten, alten Zeiten? Man entschied sich für ein Instrument, übte fleißig Stunden, Tage, Jahre. Irgendwann war eine gewisse Expertise erreicht, es entstand Musik. Das Instrument war gemeistert, Kreativität fand ihre klingende Form. Fast Forward ins Heute: Man beschafft sich Sequenzersoftware, virtuelle Instrumente und Samples, möglicherweise (aber nicht zwingend) ein MIDI-Interface. Etwas Einarbeitungszeit und am Ende steht ein musikalisches Produkt.
Das Problem an der Sache: Beschreiter des letztgenannten Pfades "machen" doch eigentlich gar nichts mehr selbst. Zeitaufwändiges Üben von Rhythmen und Rhythmusgenauigkeit weicht vergleichsweise einfacher Rhythmusprogrammierung, Hard-, oder Software Sampler übernehmen die genaue Wiederholung von musikalischen Phrasen und Patterns. Nichtmal der geneigte DJ ist noch gezwungen zu Beatmatchen. Maschinen machen die ganze Arbeit. Der Mensch verschwindet, verkümmert, ist entmündigt, eine Fußnote. Vorbei die Zeiten der musikalischen Genies, die seelenlose Herrschaft der Maschinen muss eingestanden werden. Doch bevor man sich jetzt resigniert und desillusioniert seiner Adorno-Lektüre zuwendet, sollte innegehalten werden, denn es gibt alternative Betrachtungsweisen.
Eine solche findet ihr im PdM dieses Monats. Tom Jenkinson – vielen eher unter dem Namen "Squarepusher" ein Begriff – veröffentlichte 2004 einen Artikel, der den Interaktionsmoment zwischen Menschen und Maschinen behandelt, und noch mehr. Es ist einer Erwähnung wert, dass der Artikel – bis auf vereinzelte Beiträge in Foren – nicht mehr verfügbar ist und deshalb einen festen Platz auf der ((audio)) Website erhält.

Die landläufige Sichtweise ist, dass der Mensch der Komponist, der Meister seiner Werkzeuge ist, dabei die einzige kreative Kraft darstellt. Was sich in einem Zeitalter der zunehmenden Technisierung und Komplexität von Maschinen zeigt, ist, dass die Maschinen selbst am Kreationsprozess teilhaben und zwar aktiv. Nicht etwa in dem Sinne, dass sie Bewusstsein entwickeln und das Verhalten des Menschen lenken, sondern in dem Sinne, dass sie durch ihre Eigenkonstitution, durch ihre Möglichkeiten und Limitationen, das am Ende stehende musikalische Artefakt mitformen. Ein Moogsynthesizer beispielsweise bietet eben andere Möglichkeiten bezüglich Klang, Modulation etc. als etwa ein Klavier (auch eine Maschine, wenn auch keine elektrische), und es dürfte nicht zu viel der Spekulation sein davon auszugehen, dass dieser Umstand auch in anderen musikalischen Verwendungen und Kontextualisierungen Niederschlag findet.
Eine "Prä-manifeste“ Kreativität, die dem Menschen innewohnt, die durch (und über) den Widerstand von den zu Verfügung stehenden Werkzeugen hinweg in die Welt getragen wird, gibt es nicht. Ähnlich wie Sprache mit den zu Verfügung stehenden Mitteln das Denken konstituiert, so konstituiert auch das musikalische "Werkzeug“ den Schaffensprozess.
Dies kann man, neben Synthesizern und Drummachines, auch für Gitarren, Klaviere, die ersten Trommeln aus Tierfell und sowieso für alle nutzbaren Wege der Klangproduktion ausweiten, alle bedingen (durch sich), was der Mensch (aus sich) zu fabrizieren vermag. Geschaffene Musik ist demnach eine Repräsentation davon, was aus dem Möglichen gemacht wurde, genauso wie sie eine Repräsentation des Möglichen selbst ist.

War der Mensch also je das Zentrum "seiner" Kreativität, oder war es nicht schon immer ein Wechselspiel zwischen Möglichkeit und Realisierung? Der Mensch als Werkzeug seiner Werkzeuge? Wohl eher ein Hybrid, denn es verhält sich weder so, dass der Mensch seine Werkzeuge kontrolliert, noch, dass die Maschinen den Menschen beherrschen, Kulturpessimismus zum Trotz. "Kontrolle" ist hier der Dreh-, und Angelpunkt.
Genau dieser Perspektivenwechsel aber ist es, welcher den Unterschied ausmacht zwischen den Aussagen "Es ist passiert“, "Ich habe es passieren lassen“ und dem desaströsen "Ich kann es passieren lassen“...
Wer jetzt wissen will, wieso Jenkinson letztgenannte Aussage als "desaströs“ bezeichnet, was das alles mit besagter Kontrolle zu tun hat, wieso Kant im Grab rotieren würde und der Tod bei dem Thema mitmischt, der sei auf den Originaltext verwiesen. Lohnt.

Quelle:/pdm/pdm-1202.php, 22.11.2024