Die Kunsthochschulen in Aix-en-Provence und Nizza in Südfrankreich haben einen gemeinsamen Postgraduierten-Studiengang entworfen, der sich auf Audio spezialisiert und auf den Namen „Locus Sonus – Audio-in-Art Research Group“ hört. Diese „Orts-Klang“-Gruppe besteht aus ausgesuchten Künstlern und Musikern und wird von Prof. Peter Sinclair betreut. Ihre Arbeit bezieht sich auf vernetzte Audiosysteme und Klänge mit speziellen räumlichen Eigenschaften und Ästhetiken. Gerade Phänomene wie Multi-User Praktiken, transdisziplinäre Klanginstallationen und Klang in außermusikalischen Kontexten sind für die Forschung von Locus Sonus zentral. So entstand 2006 das Projekt „Locustream“, eine weltweite Soundscaping-Kooperation, bei der Streams aus 26 Städten aller Kontinente auf einem Server zusammenlaufen und sich auf verschiedenen Interfaces und Präsentationsvarianten abbilden lassen. Ich habe die Installation „Locustream Tuner“ im letzten Monat am STEIM in Amsterdam gesehen und möchte sie hier kurz vorstellen, denn sie beeindruckt durch eine simple Bedienung, die als Crossfader zwischen den einzelnen Hörstationen dient.
Locus Sonus hat Audiostream-Kooperationen mit anderen Kunstschulen, Künstlern,
Musikern und Galerien etabliert, die idealerweise rund um die Uhr Daten in Echtzeit
an den Server senden, die das jeweils lokal installierte Mikro aufnimmt. Der
„Tuner“, der die Klänge der verfügbaren Orte überblendet, schwebt
als Kugel an zwei durch den Raum gespannten Drähten über den Köpfen
der Zuhörer und kann per Hand verschoben werden. Je nach Position ändert
sich die Kapazität des Drahtes. So steuert er den Rechner und wählt
einen Stream aus, während der Name des gerade belauschten Ortes auf die
Wand projiziert wird. Man kann ebenso gut per Webinterface auf die Streams zugreifen
(die übrigens im kompakten, freien und sympathischen ogg-Format ankommen):
Die Geographic
Listening-Map zeigt die Weltkarte mit aktuellen Wetter- und Tageslichtverläufen
und aktuell aktiven Streams, zu denen neben Sound auch Fotos und Informationen
geliefert werden. Ein Internetradio, nur mit Soundscapes, die wie akustische
Fotografien der jeweiligen Orte wirken - sehr assoziativ. So hört man z.B.
auf einem Link aus Oslo Straßen- und Flussverkehr und erfährt aus
dem Text, dass die Musik am Wochenende aus dem Club gegenüber kommen wird.
Wollongong in Australien sendet Audio mit einem binauralen Mikro vom Uni-Campus,
doch immer wenn ich bisher dort zuhören wollte, war dort wohl gerade Nacht
und man hört höchstens Grillen zirpen. Bei Marseille plätschert
das Meer im Hafenbecken.
Für die Gruppe sind sowohl die akustisch-ästhetischen Eigenschaften der entfernten Klänge interessant als auch deren soziologisch-kultureller Hintergrund. Man hört zwar nicht im ersten Moment, ob das Rauschen des Mikros in Reykjavik von Wind und Wasser oder vom Straßenverkehr stammt. In einem Verbund, den Peter Sinclair als ein „humanes Netzwerk aus Technologie“ bezeichnet, ist diese Implikation der Klänge allerdings relevant.
Locus Sonus arbeitet an Konzepten, wie diese Daten musikalisch verwendet werden können. Der Tuner der Klanginstallation verschiebt metaphorisch das Ohr des Hörers um unseren Planeten, auf der linearen Umlaufbahn des Drahtes.
Für Konzerte gibt es ein Laptopensemble, das mit den momentan vorhandenen Streams improvisiert. Auch hier für gibt es auf der Website ein Interface, das einen Mix direkt im Browser ermöglicht. Großartig!
So kann mit den aufgenommen Soundscapes das geschehen, was R. Murray Schafer „Schizophonia“ nennt: Sie werden mittels Technologie von ihrer ursprünglichen Quelle losgelöst, verstärkt, transformiert oder wiederholt etc. und führen so eine eigenständige Existenz jenseits ihrer räumlichen und zeitlichen Koppelung an den Moment der Mikrophonaufnahme.
Wir wollen gerne bald das Netzwerk mit einem Lüneburger Mikrophon erweitern.