Die Geschichte der Musikinstrumente ist gekennzeichnet von technischen Meilensteinen in der Entwicklung von klangerzeugenden Mechaniken, Schaltkreisen und Algorithmen. Es gibt Instrumente von eleganter Einfachheit oder hochspannender Komplexität. Zur letzteren Gruppe kann - spätestens seit der theoretischen Grundlegung durch Brian Eno - wohl das Tonstudio gezählt werden. Wie bei jedem ernstzunehmenden Musikinstrument muss der Umgang mit einem Tonstudio erlernt werden, aber mit der Zeit fühlen sich Arbeitsweisen ganz natürlich an, und das Studio "passt" wie der Lieblings-Schlabberpullover.
In diesem Sinne war es ein großer, aber notwendiger und absolut reizvoller Schritt, ein neues Tonstudio für das Audioteam einzurichten. Denn das bisherige Studio war mit unserer immer mehr computerbasierten Arbeitsweise nicht mehr wirklich kompatibel, es war zu viel Hardware-Ballast aus glorreicher MIDI-Zeit vorhanden, um sich mit klarem Kopf den Lieblingsprogrammen widmen zu können. Als sich die Möglichkeit auftat, einen Neubeginn - zumal in einer neuen Umgebung - zu wagen, fiel die Entscheidung nicht schwer.
Im alten TV-Regieraum des Medienzentrums der Universität Lüneburg (auch hier war die Hardware nur noch als Ballast aufgefallen) entstand das neue audioLab. Aus dem alten Setup durften nur unsere engsten Freunde mitkommen, darunter so hochverdiente Weggefährten wie der Clavia NordLead, Oberheim Matrix 1000 und Yamahas VL70m. Ansonsten konnten wir in einer großen Ausschreibung ein Setup zusammenstellen, das alle aktuellen Anforderungen an technische Standards und leichte Bedienbarkeit erfüllen würde.
Herzstück des audioLab ist der Rechnerarbeitsplatz, wahlweise auf Mac oder PC. Als Produktionsumgebungen stehen alle relevanten Systeme zur Verfügung: Live, Logic, Cubase. Da diese Programme schon seit vielen Versionen ausgereifte virtuelle Mischpulte enthalten, die zudem noch hervorragend in den Musikproduktionsprozess integriert sind, verzichteten wir auf ein externes Pult. Um dennoch im Faderreihen-Längenvergleich mit anderen Studios nicht erröten zu müssen, stellten wir den Sequenzern drei Mackie Controls zur Seite. Außerdem lassen sich damit noch sämtliche Mischpultfunktionen haptisch hervorragend bedienen. Als Abhöre dient ein edles Dynaudio AIR Surroundsystem aus Dänemark, das unser Chef paradoxerweise in den Schweizer Bergen kennen und schätzen gelernt hat. Zusätzlich gibt es noch die leidlich bekannten Yamaha NS10m-Monitore, ohne die sich nunmal leider kein Toningenieur dieser Welt in einen geschlossenen Raum locken lässt. Vor dem Fenster richteten wir eine gemütliche Analog-Ecke mit Plüschsessel ein, um in angenehmem Ambiente mittels Patchkabeln dem meta-modularen Sound-Design nachgehen zu können. Dazu steht als Grandseigneur des britischen Synthesizer-Sounds der EMS Synthi A zur Verfügung. Daneben die jüngeren Vertreter der aktuellen Frickel-Generation: Clavia Nord Modular G2x, Sherman Filterbank 2, Korg Kaoss Pad 2. Der Sessel-Arbeitsplatz ist via Patchbay direkt mit dem Computer vernetzt, so dass auch von hier aus kreativ in den Signalfluss der Produktion eingegriffen werden kann.
Ein Riesen-Fortschritt gegenüber der alten Studio-Situation ist das Vorhandensein eines separaten, mit Glasscheibe abgetrennten, komfortabel großen Aufnahmeraums. Endlich sind Mikro-Aufnahmen ohne Nebengeräusche in akustisch optimierter Umgebung möglich. Gleichzeitig lernen so alle Studierenden die typische Recording-Kommunikationssituation kennen. Im Aufnahmeraum ist Platz genug für Märchenonkel, Sing-Stars, Gitarrenstacks und Drum-Sets. Notfalls auch für alle gleichzeitig. Bedenkt man jetzt noch, dass mit der Programmsteuerung aller Audio- und Kontrolleinstellungen ganze Studiosetups einfach speicher- und wiederaufrufbar sind, stellt sich die Situation eigentlich als ideal für ein Uni-Studio dar. Hier ist der Grund und Boden für gestenreichen Elektro, Drum&Bass, Spielkonsolen-Dub und Postrock. Und auch wer mit seiner Gitarre progressiven Fusion-Jazz produzieren möchte, sollte sich hier mehr als wohl fühlen.
Man kann es nicht allen recht machen, aber mit diesem Studio sind wir nahe dran. Den Autor überfällt nur Wehmut, dass er selbst dies alles nur noch sehr sporadisch nutzen kann. Y'all better rock, 'cause I had to roll!