Eigentlich ein Programm, dass in der Kategorie "Produkt des Monats" nichts zu suchen hat. So viel gibt es zu kritisieren: Etablierte All in One Musikproduktionsumgebungen wie Logic und Cubase gibt es zuhauf, Reason kann eigentlich nichts, was die nicht auch können, die Sequenzersektion ist sehr basic, die einzelnen Instrumente und Editoren lassen sich nicht als eigene Fenster frei positionieren, die Effekte sind oft plump, der Hall war lange Zeit sogar mies und außerdem ist es höchst fragwürdig, ob die fotorealistische Virtualisierung eines Studioracks inklusive Schrauben und schwingenden Kabeln dem Computer gerecht wird. Dieser zeichnet sich doch als Symbolverarbeitendes Medium dadurch aus, körperlose und abstrakte Arbeitsumgebungen erschaffen zu können, deren Elemente nicht linear durch physische Kanäle miteinander verbunden sein müssen. Wieso also die Analogie zur materiellen Welt? Der Verdacht, dass Marketingstrategien hinter dem leicht konsumierbaren, weil vertrauten Design stecken, drängt sich hier auf. Außerdem ist Reason weder neu, noch ist es ein Oldtimer, der aus nostalgischen Gründen bemerkenswert sein könnte.
Es gibt für mich drei Gründe, es trotzdem zu präsentieren: Der erste ist die anachronistische Ausstattung, die mir beim Arbeiten mit Reason zur Verfügung stand. Der zweite ist mein Wunsch, dem Programm mehr Anerkennung zu verschaffen, denn auch Reason ist sehr leistungsfähig. Der dritte ist die Tatsache, dass sich viele Aspekte, die beim ersten Eindruck zur Kritik reizen, sich für mich nach einiger Zeit als gar nicht so schlecht herausstellten. Darüber hinaus ist der jetzige Zeitpunkt günstig, da vor Kurzen die Version 2.5 erschienen ist, die einige neue Features mit sich bringt.
Zum Ersten: Reason läuft extrem stabil und belastet die CPU verhältnismäßig wenig. Ich arbeitete mit dem Programm auf einem 650 mH Adlon und es waren Arrangements einer Größe möglich, die mit Cubase oder Logic den Stillstand des Computers bedeutet hätten. Trotz komplexer Programmierung sehr vieler Parameter und ausgiebigem Extended Sampling, fing der Computer bei einer Latenzzeit von 40ms erst an zu humpeln, als 4 Songs gleichzeitig geladen waren und parallel liefen. (Dass man mehrere Songs gleichzeitig laufen lassen kann, ist, nebenbei bemerkt, eine Funktion, die für Live-Auftritte sehr praktisch ist, da keine Ladebedingten Wartezeiten entstehen und die Stücke sogar in einander überlaufen können).
Zum Zweiten: Reason ist bekanntlich ein Komplettpaket, das einen mit vielem, was man zur Produktion elektronischer Musik braucht, versorgt: Neben der üblichen Arrange-/Sequenzersektion gibt es Mixer, Sampler, Effekte, EQ, Kompressor, Synthesizer, usw..
Von den einzelnen Geräten möchte ich hier vor allem den seit Version 2.0 vorhandenen Malström Graintable Synthesizer hervorheben, der, wie der Name schon andeutet, Granular- mit Wavetable Synthese verbindet. Durch die Möglichkeit Wavetables in Echtzeit zu dehnen bzw. zu stauchen, einzelne Abschnitte einzufrieren, dazu das Frequenzspektrum modulieren zu können und dies dynamisch und parametrisch prozessieren zu lassen, ergeben sich Strukturklänge, an denen Oval seine Freude hätte (vielleicht sogar hat, falls er zur Entspannung mit Reason Pop(p)-orientierte Tracks bastelt).
Seit Version 2.5 ist auch endlich ein besserer Reverb-/Delayprozessor
vorhanden, der zwar nicht die Coolheit eines OhmBoyz oder gar die
Qualität eines Space Designers besitzt, aber trotzdem interessant
bis crunchy klingen kann und auf jeden Fall semiprofesionellen
Ansprüchen genügt. Außerdem findet man einen neuen
Verzerrer mit integriertem Lautsprechersimulator und erstmals einen
Vocoder.
Die große Stärke der Form des Komplettpakets liegt aber
in der überaus komfortablen Programmierbarkeit fast sämtlicher
Parameter. Natürlich ist dies generell bei allen virtuellen
Instrumenten möglich, aber da bei Reason alles aus einer Feder
stammt und alles zu allem passt, funktioniert dies sofort und man
braucht sich nicht auf die Suche nach Controllernummern zu begeben.
Man klickt einfach auf einen beliebigen Regler eines Instruments,
und schon öffnet sich ein grafischer Editor, in dem der Verlauf
eingezeichnet werden kann.
By the Way alles aus einer Feder: Wer kritisiert, dass man auf die Geräte beschränkt ist, die Reason einem zur Verfügung stellt, vergisst, dass sich das Programm über Rewire in Cubase und Logic einbinden lässt. Hier hat dann jede Spur einen eigenen Kanalzug im Mixer zur Verfügung und es kann mit allem gearbeitet werden, was VST, DirectX und was auch immer zur Verfügung haben. Natürlich lassen sich auch Audio- und weitere MIDI-Spuren ergänzt.
Zum Dritten: Das fotorealistische Rack ist zwar bezogen auf sein fancy Design unsinnig, es hilft aber, den Überblick über den Gerätepark zu behalten, da das Denken und die Bewegung im Set räumlich und nicht hierarchisch orientiert ist. Für mich hat es sich als weniger mühsam erwiesen, durch das Rack zu scrollen, als z.B. in Cubase durch Menus zu klicken, um ein Instrument aufzurufen. Außerdem springt man automatisch zu einem Gerät und umgeht das Scrollen, sobald die entsprechende Spur in der Sequenzersektion angewählt wird. Da man dieses separat und dadurch gegebenenfalls in einem zweiten Monitor positionieren kann, ist die Orientierung leicht. Ebenso praktisch ist der feste Ort der Editoren: Durch einen Button lässt sich im Arrangefenster zwischen der Generalübersicht und den spurenspezifischen Grid-, Drum- Velocity- oder Controllereditoren hin und her switchen. Dadurch ist nur das auf dem Monitor, an dem man gerade arbeitet.
Reason ist eine Verbindung des Konventionellen mit dem Virtuellen. Es lässt sich damit sicher keine computerspezifische Musik machen, da es der Nachbau einer materiellen Studioumgebung ist. (Vielleicht kann man Reason als Antipode zu MAX betrachten, obwohl man sich selbst bei MAX in gewohnten Schemata bewegt). Aber für die Produktion von herkömmlichen und track- bzw. songorientierten elektronischen Musikstücken hat man mit Reason ein umfangreiches Tool in den Händen, das zudem finanzierbarer ist als jedes nicht-virtuelle Studio.