Der Club ist ein Gegenraum unserer Zeit. Ist der Eintritt erst einmal gezahlt, kann der selbstzentrierte Individualist in die Gegenden „vor-zivilisatiorischer“, vor-verbaler Kommunikation abtauchen, sich vom Takt der Musik treiben lassen, abschalten. Der Club ist ein Ort des Körpers. Die Gliedmaßen, die tagsüber durch mediale „Protesen“ erweitert waren, werden bei elektronischen Beats wiederbelebt. Schon die kleinste Bewegung re-katapultiert uns direkt in die nichtreflexive Erfahrung des Hier und Jetzt, mit der Folge erhöhter Endorphinausschüttungen. Wenn die Blicke, die Gestik, die Bewegungen und Jubelrufe der Tanzenden Übereinstimmung artikulieren, erreicht die Stimmung ihren Höhepunkt: wir tauchen endlich in die Illusion einer „CommUnity“ ein und geben uns dem Zauber des immer Gleichen hin.
Die Welt des Clubs wird zur Illusion der Ent-subjektivierung, der Körperlichkeit, der Gemeinschaft und bleibt als Anti-ort ins Jenseits der Nacht verbannt. Die Sven Väth´s, die mit ihrer selbstglorifizierenden Rockstarmanier aus der Gesichtslosigkeit des Techno auftauchten, dürfen das Glück kollektiven Egoverlusts tagsüber als ihr Produkt an die Massen verscheuern.
Synesthesia eine Künstlergruppe aus den USA verwirklichten mit ihrem Interaktiven Dance Club ein neues, erweitertes Raum – und Partizipationskonzept des elektronischen Tanzclubs. Dort kann jeder zum „DJ“ werden. Diverse Interfaces ermöglichen es Tanzenden, aktiv in das Kunstwerk einzugreifen und damit über Gestik, Mimik und Tanz hinaus, intersubjektiv zu kommunzieren. Indem die Rezipienten die Gesamtsituation aktiv beeinflussen, erfahren sie sich als schöpferischen Teil eines offenen, dynamischen Gesamtkunstwerks.
Der Interaktive Club wurde 1998 anläßlich der 25. ACM SIGGRAPH, einer bedeutenden Konferenz für Computergrafik und interaktive Techniken in den USA zum ersten Mal verwirklicht. Das Ziel war es, eine Umwelt zu realisieren, in der Menschen genügend Vertrauen und Sicherheit entwickeln, sich selbst auszudrücken und so Spieler in einer interaktiven, musikalisch und visuell zusammenhängenden Umwelt zu werden, ohne Kakophonie (das Fremdwort des Monats – bedeutet soviel wie: Missklang, Dissonanz ) zu provozieren.
Als wichtigste Tools zur Programmierung bzw. Entwicklung echtzeitfähiger Interfaces wurden MAX MSP, die Sequenzing Software Opcodes VISION, eine handvoll infrarotfähiger Sensoren, die 3D Animations Software Houndini und diverse Drum Pads von Roland, aber auch sensorische Interfaces (z.B. Pads zum runterdrücken) verwendet. Anstatt zu vorproduzierter Musik zu tanzen, konnten Rezipienten mit Hilfe der Tools Musik, Licht und projezierte Bilder live beeinflussen.
Der Club wurde dazu in verschiedene Zonen für Einzelpersonen, Gruppen und Paare unterteilt, in denen die Einzelelemente moduliert werden konnten. Dabei wurden z.B. Lichtsensoren eingesetzt, die im Falle einer Unterbrechung der Lichtschranken gesampelte musikalische Phrasen oder Midi-gesteuerte Instrumente antriggerten. Eine Infrarot-Kamera projezierte die Umrisse aufgenommener Körperbilder auf eine große Leinwand. Tanzenden konnten mit Händen bzw. Füßen Pads antriggern, die Computergrafiken beeinflussten oder Kameraperspektiven kontrollieren, die die verschiedenen Clubzonen auf einer großen Leinwand darstellten.
Da die Teilnehmenden die verschiedenen Interfaces nicht immer in intendierter Weise gebrauchten und oft so hart wie möglich mit ihnen arbeiteten, konnte man den Usern nur relativ autonome Gestaltungsfreiheit im Umgang mit musikalischen Material zugestehen. Man entschied sich dafür, die Basis des musikalischen Materials ( wie z.B. Bassdrum und Bassläufe) vorzubestimmen. Durch einen sogenannten „Experience Jockey (EJ)“ war es allerdings möglich, in Reaktion auf die Stimmung des Publikums, Strukturen zu generieren, die mit dem Anfang-, Mittel- oder Endteils eines Popsongs vergleichbar sind. Als besonders kompatibel erwiesen sich infrarot gesteuerte Interfaces, die den Rezepienten große Bewegungsfreiheit gestatteten. Unzerstörbare Hardware und starke Materialfilter war ein absolutes Muß.
Der Interactive Dance Club war das erstes Multi-partizipative Interface dieser Art und kam über die Grenzen der Szene zeitgenössischer Interfaceprogrammierung hinaus beim Publikum, vor allen jungen Erwachsenen, an. In jüngster Vergangenheit wurden eine Reihe ähnlicher Projekte z.B. der „I-Rave“ in Brasilien oder eine Installation des Steve Instuitute of Technology in New Jersey erfolgreich realisiert. In Europa können bzw. konnten wir den Interactiven Tanzclubs leider noch nicht erleben. Solltet ihr jedoch die Vision haben, einmal selbst zwischen der Hingabe an den DJ und verantwortlich gestaltender Partzipation zu oszillieren, solltet ihr selbst Interfaces kreieren. Das nötige Equipment (z.B. Infrarot Beams) , als auch interessante, interaktive Projekte wie „Joy to Midi“ und „Himmel und Hölle“, an denen ihr erste Erfahrungen im spielerischen Musizieren gewinnen könnt, stehen in der Kulturinformatik der Universität Lüneburg bereit.
Literatur:
Ulyate, Ryan und David Bianciardi: The Interactive Dance Club: Avoiding
Chaos in a Multiparticipant Environment, in: Computer Music Journal, Volume
26 2002, S.40-50.
Links:
Synesthesia
SIGGRAPH:
Konferenz für Computergrafik und interaktive Techniken