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Ästhetische Strategien
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Helmut W. Erdmann: Sounding Picture

Produkt des Monats Juli/August 2001

von Romy Zips

Die Komposition Sounding Picture entstand 1972. Prof. Helmut W. Erdmann, Dozent an der Universität Lüneburg und Leiter des Zentrum für Neue Musik Lüneburg, wußte damals wahrscheinlich noch nicht, daß er mit dieser Arbeit einen kleinen Evergreen schaffen würde, der bis heute in den unterschiedlichsten Besetzungen aufgeführt wird. Selbst in Schullehrbüchern taucht es auf, um den Kindern als typisches und doch einzigartiges Notationsbeispiel im Bereich der musikalischen Graphik vorgeführt zu werden.

Da ich Mitglied im Ensemble für Neue Musik Lüneburg bin, dessen Leiter Herr Erdmann ist, habe ich schon mehrmals die Möglichkeit gehabt, dieses Stück im Rahmen von Konzerten mitzuspielen. Als ich die Noten vor zwei Jahren das erste Mal auf meinem Notenständer liegen hatte, dachte ich erst, daß das wohl ein Scherz ist. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie diese Kritzeleien ausreichend Spielanleitung für 7 Ensemblemitglieder darstellen sollen.

Dabei muß man als InterpretIn die Zeichnungen nur richtig zu deuten wissen. Zeichen, die einen klar determinierten Bedeutungsgehalt haben, fehlen hier weitestgehend. Dafür wächst der improvisatorische Freiraum. Ein Parameter, der durch den Komponisten klar festgelegt wurde, ist zum Beispiel die Dauer der einzelnen Abschnitte, die mit Sekundenangaben beschriftet sind, was das Taktsystem ersetzt. Woher man weiß, daß 15 Sekunden vorbei sind? Der Dirigent mimt in diesem Falle eine Stoppuhr, indem er mit seinen Armen große Kreise beschreibt, die jeweils eine Minute angeben(sehr lustig anzusehen!). Der Clou kommt aber erst noch. Nachdem die 3. Minute abgelaufen ist, kommt man am Ende des Blattes an. Jetzt heißt es, das Blatt um 180 Grad zu drehen (das Blatt auf den Kopf stellen) und dann geht es von hinten nach vorne zum ursprünglichen Anfang zurück. Dauer insgesamt: 6 Minuten.

Andere Parameter die andeutungsweise festgelegt wurden, sind die Tonhöhe, die Tondauer und die Lautstärke. Letzteres wird durch Zartheit ( =leise) und Grobheit (=laut) der Linien verdeutlicht. Kurz gespielte Töne sind punkthaft notiert, breite und lange Ereingnisse dementsprechend durch Linien und Tonläufe durch an Wollknäule erinnernde Gebilde. Was in den oberen der drei aufeinandergestellten Kästchen steht, definiert eine hohe Tonhöhe, mittleres Kästchen gleich mittlere Lage und die Ereignisse im unteren Drittel sollen dementsprechend tief gespielt werden. Das heißt, nach dem Blattwenden in der 3. Minute ist das, was vorher in hohen Lagen gespielt wurde, nun im zweiten Durchlauf das Tiefste und andersherum.

Im Vorfeld der Aufführung ist es auch immer sehr hilfreich, zu klären, wer welche Ereignisse spielt. Ansonsten kann es passieren, daß nicht alles interpretatorisch abgedeckt ist und es zu Verwirrungen kommt, wer zum Beispiel den Ausbruch bei 0:45 min. macht oder welche Besetzung das kleine Trio bei 2:15 min. hat.

Zusammenfassend läßt sich also zur Gliederung sagen, daß es eine Zeit- und eine Tonhöhenachse gibt. Alle Ereignisse vermitteln durch ihre bildästhetische Qualität vage die Art und Weise der Interpretation. Im Fachjargon heißt das Aleatorik - der determinierte Zufall. Nach diesem Prinzip funktioniert jede Komposition aus dem Genre der musikalischen Graphik.

Quelle:/pdm/pdm-0107.php, 28.03.2024