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Ästhetische Strategien
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Nanoloop

Produkt des Monats Juni 2001

von Stefan Gieck

"Was willst du eigentlich mit dem alten Scheißding?", fragt mich meine kleine Schwester genervt, während sie den grauen Gameboy aus der hintersten Ecke ihrer Schreibtischschublade kramt. "Och, so ein bisschen chillen. Is' so langweilig grad", sage ich, meine wahren Absichten verbergend. "Das Teil ist doch total nervig. Allein diese ätzenden Sounds machen einen völlig huschig!" "Hmpf." Na gib schon her, denke ich, und erinnere mich, wie sie mich früher tatsächlich mit der Rappelkiste auf die Palme gebracht hat. Ihr ständiger Begleiter: Auf dem Klo, am Mittagstisch, bei sonntäglichen Verwandtenbesuchen. Ohne Super Mario und seine pixeligen Freunde wollte meine kleine Schwester das Haus nicht verlassen. Das vermeintlich harmlose Geschenk unserer Oma war zu einem gefährlichen Suchtmittel geworden. Scheißgrafik, Scheißsound. Ich hasste das Teil. Wirklich.

Irgendwann verschwand das Spielzeug in der Schublade und ward vergessen. Als dann der Retro-Wahn der späten 90er auch mich erreichte - auf einmal schwärmten alle von ihren alten Ataris, C64ern und was weiß ich noch - stieß ich auf einen Artikel in der Keyboards, in dem doch wirklich ernsthaft versichert wurde, es gäbe da eine Art Synthi-Plugin für den Gameboy. Ein Scherz? Nein. Nur kaufen konnte man das Ding, mit Namen "Nanoloop", noch nicht, handelte sich doch lediglich um einen Prototyp, der nicht etwa von Nintendo, sondern von einem Studierenden der Hamburger Hochschule für bildende Künste im Rahmen eines "Studentischen Projekts" entwickelt worden war. Bis Oliver Wittchows Gesellenstück - Nanoloop entstand im Rahmen seiner Vordiplomarbeit - in Serie gehen konnte, verging einige Zeit. Jetzt ist Nanoloop 1.2 in limitierter Auflage erhältlich. Der Vertrieb erfolgt ausschließlich übers Internet.

Nanoloop liegt voll im Trend. Dass Technomusiker gern Spielzeug zweckentfremden, ist schließlich spätestens seit Schlammpeitzigers Heimorgel-Adaptionen bekannt. Haben in letzter Zeit Bands wie Add N To (X), Ladytron oder Op:l Bastards zurück zu analogen Synthesizerklängen gefunden, ermöglicht Nanoloop die perfekte Simulation der im Augenblick so angesagten Clicks & Cuts. Für das trendige Techno-Subgenre, dessen Klangmaterial aus Störungen im digitalen Datenfluss resultiert, ist Nanoloop wie geschaffen. Tatsächlich haben sich schon so renommierte Elektro-Größen wie Merzbow, Stock, Hausen & Walkman, Aphex Twin, Dat Politics, Hrvatski, Mouse on Mars, Fennesz, Felix Kubin, Scratch Pet Land, Kid 606, Pita, Pyrolator, Chicks on Speed, Bruce Gilbert, Vladislav Delay oder Christoph de Babalon an Nanoloop versucht. Zu hören sind die Ergebnisse auf einer Compilation des Hamburger Labels Disco Bruit.

Nanoloop ist eine Synthesizer- und Sequencersoftware; gewissermaßen Lo-Fidelity auf hohem Niveau. Plug and Play wird hier wirklich beim Wort genommen. Wer Nanoloop per E-Mail bestellt, bekommt eine handelsübliche Cartridge zum einstecken. Die Software läuft auf allen Gerätetypen, klingt aber auf dem grauen Gameboy Classic am besten. Er soll von allen Modellen die fettesten Bässe liefern. Nanoloop-Entwickler Oliver Wittchow führt das auf die höhere Betriebsspannung zurück. Bei anderen Typen muss man mit Störgeräuschen und einem höheren Grundrauschen rechnen. Es lohnt sich also, auf dem Flohmarkt nach einem alten Modell Ausschau zu halten.

Da der einzige Audioausgangder für den Kopfhörer ist, sollte man unbedingt einen Vorverstärker verwenden. Der Pegel des Gameboy ist sehr leise. Der Grundsound ist naturgemäß sehr trocken und kann nach einer Weile wirklich auf die Nerven gehen. Interessant ist es daher, den Sound mit zusätzlichen Effekten (z.B. Hall) anzureichern. Eingeschränkt wird die Arbeit am Gameboy leider durch das unbeleuchtete, kontrastarme LCD-Display. Besonders im Live-Einsatz oder bei schlechten Lichtverhältnissen im Studio ist der Mini-Bildschirm ein echtes Problem. Kein Problem ist dagegen die eigentliche Bedienung von Nanoloop. Auch wenn es am Gameboy nur fünf Bedienelemente gibt, ist sie kinderleicht.

Nanoloop ist ein Stepsequencer in bewährter TR-X0X-Lauflicht-Manier. Es wird eine Endlosschleife mit 16 Schritten wiederholt, die als Matrix aus vier Reihen zu je vier quadratischen Feldern dargestellt ist. Die Klangsynthese greift direkt auf die im Gameboy installierten Soundchips zu und gestattet neben dem Zugriff auf den internen Wellenformspeicher auch eine spezielle Form von Wavetable- und FM-Synthese, wie sie von "großen" Synthesizern wie dem PPG Wave oder dem Yamaha DX-7 bekannt ist. Es stehen drei Instrumententypen zur Verfügung: ein Software-Synthesizer mit Wavetable- und FM-Synthese; zwei gegeneinander verstimmbare Rechteckoszillatoren mit veränderbarer Pulsweite und Rauschen/Impuls mit filterähnlichen Effekten.

Für jeden Schritt der Sequenz lassen sich während des Spiels alle Parameter individuell einstellen. Folgende Parameter können editiert werden: - Hüllkurve für Lautstärke - Tonhöhe - FM-Modulationstiefe - Intervall und Pulsweite der Rechteckoszillatoren - Filterfrequenz - Hüllkurve für Tonhöhe - Wellenformen des Software-Synthesizers (16) - Verzögerungszeit der beiden Rechteckoszillatoren - Position im Stereobild

Besonderes Potential steckt dabei sicher in der Wavetable- und FM-Sektion, deren Beherrschung allerdings etwas Übung erfordert. Es können nämlich auch einzelne Wellenformen editiert werden, wobei die Resultate aber besonders für den Einsteiger häufig unvorhersehbar sind. Der Sound ist eine Überraschung. Klar, dass manches an die Soundtracks von Spieleklassikern erinnert. Nanoloop liefert aber auch Klänge, die man einem "Spielzeug" nicht zutrauen würde: Ultratiefe Bässe und schmerzhaftes Zirpen. Die Simulation von Drumsounds ist kein Problem. Schwierigkeiten bereitet allein die gezielte Erzeugung von Melodielinien, da es keine vorgegebenen Tonleitern, sondern nur Halbton- und Oktavenschritte gibt.

Für jedes Instrument sind 15 Pattern-Speicherplätze in vier Bänken vorgesehen. Die Pattern einer Bank können zu jeweils einem Song arrangiert werden. Lustiger ist es aber, in Echtzeit zwischen den Bänken hin und her zu springen, immer neue Pattern aufzurufen und miteinander zu kombinieren. Über ein Game-Link-Kabel lassen sich sogar zwei Gameboys synchronisieren und Patterns austauschen. Doch Vorsicht ist geboten, denn standardmäßig ist Nanoloop seit der Version 1.1 auf MIDI-Sync eingestellt. Da Gameboy-Sync aber ein anderes Taktverhältnis verlangt, gibt es - ist die Grundeinstellung erst einmal verändert - kein Zurück mehr, und der Gameboy ist ab diesem Zeitpunkt auf den neuen Standard genormt.

Die Arbeit mit MIDI gestaltet sich auch nicht gerade einfach. Im Lieferumfang fehlt nämlich ein Kabel für die Verbindung von Gameboy und MIDI-Interface. Das muss man sich erst selber basteln. Zwar ist die Bauanleitung mit einer Teileliste im Handbuch abgedruckt, ohne ein Mindestmaß an technischem Sachverstand lässt sich hier allerdings wenig ausrichten. Wer's nicht hinkriegt, dem bleibt nur, die Pattern abzusampeln. Es darf jedoch keinesfalls vergessen werden, dass es sich bei Nanoloop eben nicht um ein kommerzielles Produkt, sondern um ein experimentelles Tool handelt. Und diesem Anspruch wird Nanoloop voll gerecht.

Quelle:/pdm/pdm-0106.php, 29.03.2024