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Ästhetische Strategien
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Popshopping

Produkt des Monats Januar 2001

von Oliver Schwarz

'Na, nananana, nananana, nananana'

Deutsche Werbung ist doof. Vor allem, wenn sie singt. Das ist nicht erst seit gestern so, was uns die glockenhell-knisternde "Sanostol"-Kinderplärre mit Original-Tonband-Rauschen der 50er Jahre fast täglich wieder hörbar beweist. Dass eine gewisse "Doofheit" (wenn sie denn zusammen mit stylisher Musik daherkommt) aber auch durchaus ihren Reiz haben kann, zeigt die Compilation "Popshopping" des Berliner Labels "Crippled Dick Hot Wax". Darauf haben die zwei Hamburger twenty- bis thirtysomethings Sir d´Oeuvre und Senor 45 Werbejingles - in voller Länge - aus der Zeit von 1959 bis 1975 versammelt, die entweder schon lange aus dem werbeüberfluteten Hirn des Konsumenten (man rechnet ca. 3000 Botschaften pro Tag) verschwunden sind oder in den eher textlastigen Spots ihrer Zeit von sich aus leisegemischt wurden.

Die Reklamemusik dieser Zeit sollte (wie auch heute noch) weder die gesetztere Zielgruppe verschrecken noch das junge, kaufkräftige Publikum langweilen. Und da (wie auch heute noch) die Produktmanager der Firmen eher über eine gute Kenntnis der aktuellen Filme und Moden verfügten als über musikalisches Hintergrundwissen, wurden prominente Komponisten herangezogen, um der Aussage einen flotten Anstrich zu verpassen. Klaus Doldinger, Christian Bruhn und Gert Wilden (der schon einmal für eine "Crippled Dick"-Compilation seine "Schulmädchenreport" - Soundtracks rausgerückt hatte) sind die 3 bekanntesten Namen der, laut Booklet, "überschaubaren ... Elite der Werbejinglekomponisten". Gert Wilden z.B. erweist sich mit seinem "Moulinex" - Theme von 1972 als Disco-Vertreter der ersten Stunde und auch die meisten anderen der hier vertretenen Autoren lassen es mächtig grooven. Von funky "Shaft"-Gitarren und blockrockenden Schlagzeugen (what the fuck was big beat?) über pizzicierende Philadelphia-Streicher und feiste Bläsersätze bis hin zur dramatischen Schweineorgel oder dem verspielten MiniMoog ist alles vertreten - zwar oft zugesäuselt von seidigen "jadada"-Frauenchören und immer mit dem braven Beigeschmack der Schuhreklame, aber für ein oder zwei heisse Sohlen auch auf contemporary Parties durchaus nicht zu verachten.

Bis auf wenige schlagerhafte Ausnahmen (wie z. B. "Der Hansa-Pils-Hit" von Christian Bruhn) schaffen es die Macher der Compilation so, ein durchweg unterhaltsames Zusammentreffen der musikalischen Richtungen der gar so "wilden 60er/70er" Jahre zu arrangieren.

"Hör mir auf mit dem Retroscheiß", werden Sie sagen... Natürlich: Der deutsche Schlager ist (dankbarerweise) wieder in die Kiste der Vergessenheit gehüpft und auch der Easy-Listening-Hype ist zugunsten einer angemessenen Anerkennung der Werke von Bacharach, Alpert und Peter Thomas in den Hintergrund getreten. Deshalb, und darauf weist auch Götz Alsmann (immerhin promovierter Musikwissenschaftler) in dem angenehm ausführlich kommentierten Booklet zur CD hin, sollte man die Tracks auf Popshopping ganz unvoreingenommen als das sehen, was sie sind: nämlich "Paradebeispiele für FILMMUSIK aus der Zeit, als unsere Bundeskanzler noch Erhard, Kiesinger, Brandt und Schmidt hießen." Da weiß man, was man hat. Guten Abend.

Quelle:/pdm/pdm-0101.php, 19.04.2024