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((audio)) - Ästhetische Strategien
Ästhetische Strategien
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Hyper.Hybrid.Pop.
Bilderbuch, Sound-Delinking & Topophobie

Feed #13 // 2017

von Lukas Iden

Intro: What is this „Austro“ in Austropop?

„An der Grenze, kein Admiral, na
Ich brauch no Passport, no creditcard, na
Ich seh' die Zukunft durch das Kristall
Bring die Future Love vom weiten All“ 1

Die Band Bilderbuch kommt aus Österreich. Das bedeutet noch lange nicht, dass sie österreichische Musik machen wollen. Ganz im Gegensatz zu einer Vielzahl aktueller österreichischer Popmusiker. Die Band Voodoo Jürgens zum Beispiel singt über Wien – auf Wiener Mundart. „Der Nino aus Wien“ trägt den nationalistischen Bezug bereits im Namen. Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst distanziert sich entschieden von dieser nationalistisch geprägten Pop-Musik:

„Ich will eigentlich mit keinem nationalen Gedanken meine Musik, mein Geld machen. Ich will kein österreichisches Klischee per se nach Deutschland verkaufen. Ich will Österreicher sein, ja. Aber ich will nicht um die Häuser ziehen und irgendwas verkaufen, was mit diesem Land eins zu eins zusammengeht. Das liegt mir nicht nah. Die Kunst muss größer sein als dieses kleine Land.“2

Bilderbuch wollen nicht, dass ihre Musik auf ihr Land reduziert wird. Johannes Ismaiel-Wendt zeigt, dass die Fixierung von Musik an festen Orten eine reine Konstruktion ist, die sich aus der „Topophilie der Agenten populärer Musik“3 ergibt. Das Verlangen nach einer Verortung der Musik stehe aber im Gegensatz zur Musik selbst: „Die musikalische Gestalt selbst ist, im Unterschied zu ihren Agenten, topophob. Sie kann nicht bestehen, wenn sie irgendwo, irgendwie fixiert wird.“4 In der öffentlichen Meinung, besonders in journalistischen Artikel, wird jedoch allzuoft versucht, die Musik der Band zu fixieren. Die Genrebezeichnung „Austropop“, mit der rücksichtslos alle Popmusik bezeichnet wird, die aus Österreich kommt, wird auch Bilderbuch angeheftet: „Austropop 4.0: Bilderbuch schlagen das nächste Kapitel auf.“5 Immer wieder wird dabei der Vergleich zu Falco gezogen. Bilderbuch seien „Falcos Erben“6 heißt es in einem Rolling-Stone-Artikel. Es gibt textliche Anspielungen7 und auch die Kombination deutscher und englischer Texte lassen zunächst an den österreichischen Musiker denken. Problematisch an diesem Vergleich ist jedoch, dass die Falco-Referenzen bei Bilderbuch in einer Reihe mit diversen anderen popkulturellen Referenzen stehen, die außen vor gelassen werden. Auch Sänger Maurice Ernst kann die häufigen Falco-Vergleiche nicht nachvollziehen: „Und ich sehe auch heute noch nicht zu 100 Prozent, warum uns so viele mit Falco vergleichen“8.

Die musikalischen Einflüsse von Bilderbuch sind vielfältig: „Wir sind da sehr offen und konsumieren jegliche Musik von ZZ Top bis zur ärgsten Jamaika-Mucke. Das ist uns so ein bisschen wurscht.“9 Die Tatsache, dass es ihnen „wurscht“ ist, welche Einflüsse ihre Musik bedingen und wie sie verwendet werden führen mich zu dem wissenschaftlichen Diskurs, in dem ich das Album „Magic Life“ verorten möchte. Dafür verlassen wir –ganz im Sinne Bilderbuchs – Österreich und begeben uns auf die Suche nach der „Future Love vom weiten All“. Im Folgenden möchte ich nach Gestaltungsmitteln und ästhetischen Praktiken auf „Magic Life“ suchen, die herausstellen, dass der Bilderbuch-Sound nicht nur nicht-österreichisch ist, sondern auch an keinen anderen Orten festgemacht werden kann und als postkoloniale Musik, die vor Allem von Globalisierung und Internet geprägt ist, gehört werden muss.

Dazu betrete ich den Möglichkeitsraum, die Klangutopie, den Nicht-Ort der Band Bilderbuch, um am konkreten Beispiel ästhetische Strategien zu verdeutlichen. Hierzu werde ich mich in dem Song „I <3 Stress“ auf Entdeckungsreise begeben.


Entdeckungsreise: I <3 Stress




Synthesizer, die an eine Bläser-Sektion erinnern, ein „Bless“-Ausruf mit viel Delay („Ble-Ble- Bless -Bless -Bless“) ein perkussiver Sound mit nicht weniger Delay, irgendwo im Hintergrund erklingt fragmentarisch ein Bass. So werde ich im Klangraum des Songs „I <3 Stress“ empfangen. Die Topophilie möchte mich irgendwo nach Jamaika vor ein Soundsystem zerren. Delay, „Bless“, Bass: Klar, Dub. Klar, Jamaika. Doch meine Reise wird unterbrochen. Die Sounds werden von einem Rauschen begleitet, ab und an fiepst ein Synthesizer auf hohen Frequenzen. Das Bild des jamaikanischen Soundsystems ist verschwommen, der Raum öffnet sich, das Rauschen schwillt an, bildet gemeinsam mit dem Bläser-Synthesizer-Sound ein unidentifizierbares, fremdes Sound-Kollektiv, fiepst einmal, dann tauche ich ab.

Was treibt mich da in die Tiefe? Eine Melodie wabert durch den Klangteppich, auf und ab, ich denke zunächst an ein Synthesizer-Arpeggio, bis mir auffällt, dass es eine Gitarre ist. Wie un-gitarrisch diese Gitarre klingt. So etwas wie eine Kickdrum pulsiert, aber irgendwie unregelmäßig. Setzt ab und an Akzente. Eine Snare klingt verlässlich auf der Drei, metallisch und kurz. Wenn man denn wollte, könnte man sich aus den klanglichen Tiefen reißen, um einen klassischen Hip-Hop-Beat zu hören: Kick-Kick-Snare, Kick-Ki-Ki-Kick-Snare. Aber dies nur mit großer Mühe. Der Beat ist einfach Beat, mit New-Yorker Bronx hat er nichts zu tun. Für Hip-Hop ist das ganze auch irgendwie zu schnell. Zwischen Kick und Snare rauscht so etwas wie ein Becken, vielleicht eher ein Shaker. Der Sound ist eigentlich keinem Instrument verbunden, ist nur rhythmisches Rauschen, rhythmisiertes Geräusch, welches zwischen der linken und der rechten Hörmuschel meines Kopfhörers hin und her wandert. Schließlich schmiegt sich die Stimme von Maurice Ernst an den Klangteppich. Wabert mit mir durch die Tiefe. Bricht nicht auf, sticht nicht heraus, treibt durch den Sound.

Maurice kommt zu Spät zu seiner Thaimassage („Thaimassaaaaaaaj“). Das Thai wird von einem Delay als rhythmisches Element wiederholt. Klingt dann mehr gesprochen als gesungen. Maurice holt den Porsche aus der Garage. Zu seiner Stimme kommt eine Zweite, Autotune auf Anschlag. Sie bilden eine Harmonie. Ich treibe weiter durch die Tiefe. Vielleicht schwebe ich auch durchs All.10 Bis die Stimmen anschwellen. Durcheinander. Worte sind schwer auszumachen. Dann ein Drum-Hit. Der Refrain setzt ein. Eine Gitarre hebt ab, springt mir ins Gesicht. Durch den Harmonizer hört sie sich an, wie 10 Gitarren. Gleichzeitig aber auch wie keine Gitarre. Der Sound ist mir fremd. Eine Alien-Gitarre. Sie reißt mich aus der Tiefe, ich weiß nicht wohin. Jedenfalls nicht vor die Bühne eines Rock-Konzertes. Die Kickdrum ist jetzt nur noch ein permanentes Ticken auf den 16-teln. Ansonsten bleibt der Beat gleich. Die Kick klingt irgendwie mechanisch, wie eine Dampflock, aber auch nicht so richtig. Ich Frage mich, ob ich diesen Sound nur im Kontext des Beats als Kick-Drum hören kann. Sie bringt den Stress. Dazu betont Maurice, wie sehr er den Stress liebt, die alles dominierende Alien-Gitarre übertönt er dabei nicht. Bei „I Love Stress“ teilen sie sich die Melodie: Unisono.Kick. Cut.
Kurz ist nur diese Fremde Gitarre zu hören und ein dumpfer, wabernder Sound. Der Beat ist noch da, die Alien-Gitarre ist aber mit einem Sidechain-Compressor ausgerüstet und verdrängt den Beat immer wieder. Die Snare klingt im Wechsel dumpf und leise und wird dann wieder laut und klar. Aus der zuvor regelmäßig pulsierenden Kick wird ein zweitaktiges Pattern. Die Gitarre wandert die Tonleiter hoch. Bis die Stimme die zweite Strophe einleitet („Ihr Sex on The Beach wird langsam warm.“) und ich wieder abtauche. Die Arpeggio-Gitarre ist wieder da, die Kick hat ihre Betonung wieder. Maurice Stimme bleibt diesmal allein. Er spricht: „Gib mir noch was Franky, ich brauch Kicks“. Unmittelbar schießt mir James Brown in den Kopf, wie er seiner Band Kommandos gibt. Es folgt aber kein Drum-Break von Clyde Stubblefield, es wird nichts reduziert, es wird maximiert. Refrain.
Kick. Snare. Cut.
Ein Synthesizer-Sound. Ein Dubhorn. Das Dubhorn klingt hier nicht nach einem Dub-MC, der seine Luftdrucktröte drückt, sondern nach einem DJ, der den Sound als digitales Sample auf ein Pad seines MIDI-Controllers gelegt hat. Der Sound wird mehrfach getriggert, ohne auszuklingen („Dööö, Dö-Dö-Dö-Dööö“). Ein Beat setzt ein. Claps auf zwei und vier, ein Rimshot zwischen den Zählzeiten. Die Topophilie meldet sich. Ibiza. Das ist doch ein House-Beat. Aber wo ist die Kick? Gleichzeitig zerrt es mich wieder nach Jamaika. Der Perkussion-Sound mit dem Delay ist wieder da. Es wird wieder „Bless" gerufen. Doch ich komme nirgendwo an, die konkreten Räume setzen sich nicht zusammen. Spätestens, wenn der Refrain einsetzt, habe ich die Orientierung wieder verloren. Ich gleite wieder in die Tiefe. Es ruft im Wechsel „Hey“ und „Ho“, aber niemand ruft „Hip-Hop Hooray.“ Der Beat steht frei. Dann nur Gitarre. Gitarre und viel Hall. Es entsteht ein Raum, der so nicht existiert. Ich weiß nicht, wo ich bin, ich habe die Orientierung verloren und mich vollends von der Topophobie einnehmen lassen. Die Gitarre verlangsamt und verklingt, als hätte jemand die Stop-Taste eines Plattenspielers gedrückt, ohne die Nadel von der Platte zu nehmen.


Delinking Sound


Ich bin auf Entdeckungsreise in „I <3 Stress“ gegangen. Dabei ist mir wenig bekanntes begegnet. Klänge, die mich zunächst an vertraute Orte locken wollten, erwiesen sich dann doch als fremd. „Deine Mustererkennungs-Kompetenz wird zerfetzt, während du dich durch eine verblüffende Republik ununterscheidbare Materie bewegst.“11 Wann immer ich dachte, einen musikalischen Verweis, eine Inspiration, gar ein Zitat gehört zu haben, war es mir nicht möglich es in einen vermeintlich ursprünglichen Kontext zurückzuversetzen. Ich habe nicht Österreich gehört. Ich habe auch nicht Jamaika, nicht Bronx gehört. Die verblüffende Republik, durch die ich mich bewegt habe bestand aus der ununterscheidbaren Materie „Sound“. Bilderbuchs „futurhythmische Vision [behandelt] die Tradition als einen Vorrat der EFFEKTE, der Inputs, die sie an ihre gewaltigen Verbundmaschinen verfüttert haben“.12 Sie „Delinken“13 den Sound.

„De-linking […] shall be understood as a de-colonial epistemic shift leading to other-universality, that is, to pluri-versality as a universal project.“14

„Delinking Sound“ soll in diesem Sinne bedeuten, dass musikalische Formen von der westlichen Episteme gelöst werden, dekolonialisiert werden. Dekolonialisierung soll hier auch etwas weiter gefasst als Delokalisierung des Sounds verstanden werden, also als Lösung des musikalischen Zeichens von seiner kontingenten Ortsgebundenheit durch die „Topophilie der Agenten populärer Musik“15 . Bilderbuchs ästhetische Strategie soll hier also als „uni-versal project of delinking from modern rationality“16 verstanden werden. Die „pluri-versality“17 der musikalischen Einflüsse und ästhetischen Praktiken, die mir auf meiner Entdeckungsreise begegnet sind, haben eine andere sonische Welt erschaffen. Ein Delinking des Sounds von der westlichen Episteme bedeutet auch eine Lösung des Sounds von seiner musikalischen Historie, von der Tradition:

„Die Zukunft ist ein weit besserer Hinweisgeber für die Gegenwart als die Vergangenheit. Bereitet euch vor, alles, was ihr über die Geschichte der Musik wißt, für einen kurzen Blick auf ihre Zukunft einzutauschen.“18


Delinking Delay

Die verwendeten Delay-Effekte und der Ausruf „Bless“ können als klare Verweise auf die Dubkultur verstanden werden. Es handelt sich hierbei jedoch nicht „um bloße Anleihen kulturfremder Elemente“19 , sondern um „Rekodifizierungsstrategien"20 . Der Vorwurf der Akkulturation funktioniert nicht, weil Bilderbuch nicht mit einem Denken über „fremde Klangkulturen“ ihre Musik machen. Es ist ihnen wie eingangs zitiert „wurscht“, woher die Musik kommt. Es geht ihnen darum, ihren Sound zu machen. Wenn Maurice dann „Bless“ ruft, hat das natürlich irgendwie mit Dub-Musik zu tun. In erster Linie soll es aber einfach klingen. Es geht nicht darum, den kulturellen, erst recht nicht den religiösen Kontext zu übertragen. Es geht darum, Zeichen neu zu besetzen.


Delinking Voice

Der Einsatz von Stimme und Text kann bei Bilderbuch ebenfalls als Strategie des Delinking verstanden werden. Die Stimme wird bei Bilderbuch in erster Linie als Instrument ernstgenommen und als Sound unter vielen verstanden. Wie Maurice Ernst das Instrument Stimme spielt, steht jedoch nicht in der Tradition klassischer musikalischer Parameter. Es geht wieder vor allem um Sound. Der Sänger versucht, „die Sprache zum Tanzen zu bringen.“21 Das soll nicht bedeuten, dass die Texte keinen Inhalt hätten, die Band hat dabei jedoch nicht eine mögliche Bedeutung im Kopf: „Du kannst Internet reinpacken. Transparenz – wo fängt die Echtheit an? Du kannst es genauso auf Österreich beziehen, auf Europa, du kannst es auf die westliche Welt beziehen, dieses „Magic Life“. Da fängt es an interessant zu werden. Und das ist nur eine Möglichkeit.“22 Die Texte sind nicht mit einer Bedeutung verknüpft, sondern werden, wie das musikalische Material als offenes Zeichen behandelt. Der Sound dieses offenen Zeichens entsteht dabei vor allem auf die Art und Weise, wie die Texte vorgetragen werden. Deutsch wird mit Englisch gemischt, ab und an kommt der Wiener Dialekt durch, zwischendurch mal spanisch.23 Die Betonungen wechseln dabei teilweise innerhalb eines Wortes. Man könnte die Arbeit mit der Stimme hier eher in der Tradition der „Vocal Science“ beim Sampling sehen. „Stray phonemes combine to make new phrases. Slices become spectral bits of melodypercussion“.24 Wenn Maurice singt: „Ich brauch Power für mein Akku“25 und es klingt wie: „ich brauch Bauer für monAkku" wird deutlich, dass es in erster Linie um einen Groove der Sprache geht. Silben werden so betont, dass der Gesang rhythmisch wird, Groove und einen spezifischen Sound hat: „Wie kann ich [der Sprache] einen Groove geben, damit sie instinktiv und rhythmisch wirkt.“26 Ob noch zu verstehen ist, was eigentlich gesungen wird, ist zweitrangig: „Es ist wahnsinnig wichtig, wie man etwas singt, nicht nur, was man singt.“27

Dadurch delinken Bilderbuch auf einer ersten Ebene den Gesang von der popkulturellen Tradition der bedeutungsschweren, emotionalen Texte, die deutlich aus dem Instrumentalspiel herausstechen und auf einer zweiten Ebene delinken sie die Sprache von ihrer festen Zeichenbelegung und zeigen damit Kontingenz auf. Auch ein deutscher oder englischer Text macht Musik nicht deutsch oder englisch. Durch Betonung und Groove des Gesangs wird der Gesangstext von seinem nationalen Bezug gelöst. Sprache wird zunächst als Sound wahrgenommen, als topophobes musikalisches Mittel und dann erst auf einer zweiten Stufe verstanden und mit Sinn belastet.


Delinking Guitar

"Wie kann man die Gitarre 2017 am Leben erhalten und ihr gleichzeitig eine Classiness geben? Und was ganz Modernes. Nämlich der Ansatz, wie man es aufgenommen hat ist unglaublich 2016: Man hat einfach die Gitarre in den Laptop eingesteckt. Man hat einfach nichts, kein Mikro hingestellt. Man hat gesagt: Man lügt sich doch nicht in die Tasche und mikrofoniert jetzt so wie die letzten 50 Jahre das jeder gemacht hat. Nein, man steckt ein. Und dann schaut man mal, wo man hinkommt.“28 Das Ergebnis ist eine Gitarre, die melodisch durchaus auf Rock-Spielweisen verweist, die aber durch ihren Sound gleichzeitig von Rock und allem was damit zusammenhängt entkoppelt, delinkt ist. Dadurch, dass die Gitarre direkt an den Laptop geschlossen wird, wird sie schon insofern delokalisiert, als ihr jeglicher natürlicher Raum fehlt, den ein Mikrophon aufgefangen hätte. Stattdessen wird sie mittels Reverb in künstliche, utopische Räume geschickt. Die Harmonizer-Effekte delinken das Instrument von ihrem „typischen“ Sound. Die Gitarre klingt wie ein Synthesizer und wirkt damit gegen die Verortung der Gitarre als „händisches“ und „echtes“ Instrument.


Outro: Hyper. Hybrid.


Ich habe gezeigt, dass Bilderbuch mit einem topophoben Gedanken Musik machen und musikalische Elemente aus ihrer kontingenten Lokalität lösen. Topophobe, dekolonialisierende Strategien werden vor allem – auch in der von mir verwendeten Literatur – in Bezug auf diasporische Musik diskutiert. Die Bandmitglieder Bilderbuchs befinden sich als Österreicher nicht unbedingt in einer Position der Unterdrückung.

„Heute sind die traditionellen Formen des Kolonialismus in weiten Teilen der okzidentalen Welt verschwunden und durch die Globalisation ersetzt worden. Die traditionellen Unterdrückungsformen haben der Kommunikation, der digitalen und virtuellen Welt weichen müssen, wo jede Kommunikation von einem Nullpunkt aus beginnen kann. Die Interaktion von Beziehungen und Handlungen, auch das Erwerben von Wissen und die Wahrnehmung, haben Internetformen angenommen.“29

Man könnte die Musik Bilderbuchs somit als Resultat der globalisierten Welt, der Internetkultur sehen und vor allem hören. Wenn Wissen und Wahrnehmung Internetformen annehmen, bedeutet das, dass sie hypertextuell strukturiert sind. Das lineare, historische und kolonialisierte Denken weicht also einem rhizomatischen. Die Struktur des Internets führt „zu einer transnationalen Kommunikation […], die den Essentialismus überwindet, so dass Ähnlichkeit und Differenz, Lokales und Fremdes nebeneinander existieren können.“30 Daraus ergibt sich eine musikalische Praxis des Delinking. Digitale Medien weichen die lokalisierten Kontexte auf. „Fremde“ Klänge sind im Browser nicht weiter entfernt als „bekannte“ Klänge. Es sind einfach Klänge, die immer und leicht zugänglich sind. Dadurch ist es möglich, musikalische Hyper-Verbindungen jenseits von Topophilie zu ziehen: „ Das ist GunsNRoses und Kanye zusammen. Alles eben, was jemals groß und emotional war.“31

„Die Globalisierung verwandelt die Welt in einen dezentrierten, d.h. hochgradig kosmopolitischen Raum,
aus dem Hybridität hervorgeht.“
32

In diesem Raum findet die Musik von Bilderbuch statt. Ein hypertextueller Hybrid, der Musik delinkt, dekonnotiert und in einem utopischen Raum zu neuem Sound zusammensetzt. Austropop? Was hat das mit Österreich zu tun? Hyperpop.

 

Der Text ist einer Hausarbeit für das Seminar "Sound Cultures? Klang-Ökologien? Sonic Bodies? Post-Musikalische Klangforschung in den Kulturwissenschaften" (Malte Pelleter) vom Wintersemester 2016/17 entnommen.

  1. aus dem Song SUPERFUNKYPARTYTIME erschienen auf Bilderbuch: Magic Life (2017). Maschin Records. Zur Textstelle
  2. Ernst in Ziegler 2017: Online-Interview. Zur Textstelle
  3. Ismaiel-Wendt 2011: S.18. Zur Textstelle
  4. Ismaiel-Wendt 2011: S.19. Zur Textstelle
  5. Zimmer 2017: Schlagzeile 5 des Online-Artikels.
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  6. Mayer 2017: Schlagzeile des Online-Artikels
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  7. „Mir wird so schrecklich heiß in Wien“ Zeile in dem Song „Erzähl deinen Mädels ich bin wieder in der Stadt“ erschienen auf Bilderbuch: Magic Life (2017). Maschin Records. vgl. dazu den Falco Song „Zuviel Hitze“. Zur Textstelle
  8. Ernst in: Nordbuzz 2017: Online-Interview.
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  9. Zwingel 2017: Online Interview. Zur Textstelle
  10. Für beie Orte wäre der Glashelm, den Maurice auf dem Cover hält äußerst nützlich Zur Textstelle
  11. Eshun 1999: S.004. Zur Textstelle
  12. Eshun 1999 S.002. Zur Textstelle
  13. vgl. zum Begriff „Delinking“ Mignolo 2007. Zur Textstelle
  14. Mignolo 2007: S.453. Zur Textstelle
  15. Ismaiel-Wendt 2011: S.18. Zur Textstelle
  16. Mignolo 2007: S.498. Zur Textstelle
  17. ebd. Zur Textstelle
  18. Eshun 1999: S.-001. Zur Textstelle
  19. de Toro 2003: S.36. Zur Textstelle
  20. ebd. Zur Textstelle
  21. Ernst in: Nordbuzz 2017: Online-Interview.
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  22. Ernst in The Gap 2017: 22 Online-Interview.
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  23. in dem Song „Erzähl deinen Mädels ich bin wieder in der Stadt“ erschienen auf Bilderbuch: Magic Life(2017). Zur Textstelle
  24. Jasen 2016: S.162. Zur Textstelle
  25. in dem Song „Bungalow“ erschienen auf Bilderbuch: Magic Life (2017). Zur Textstelle
  26. Ernst in Nordbuzz 2017: Online-Interview.
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  27. ebd. Zur Textstelle
  28. ebd. Zur Textstelle
  29. de Toro 2003: S.25. Zur Textstelle
  30. de Toro 2003: S.29. Zur Textstelle
  31. Ernst in Blogrebellen 2017: Online-Interview
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  32. de Toro 2003: S.29 Zur Textstelle
  33.  


Literatur

Online

Discographie

Quelle:/audiofeed/audiofeed1701.php, 19.04.2024